0,7%
BIP für EZA? Entwicklungszusammenarbeit und
Bruttoinlandsprodukt Richard
Parncutt
3.
April 2015
Leider habe ich keine
Antwort auf folgende E-Mail an die Redaktion
von Weltnachrichten,
der Informationen der österreichischen
Entwicklungszusammenarbeit, finden können.
Ich lese seit vielen Jahren die Informationen der
österreichischen
Entwicklungszusammenarbeit in den „Weltnachrichten“
und
möchte Ihnen zu Beginn für die vielen interessanten
Berichte,
die ich dort über die Jahre gelesen habe, danken. Folgende
Kritik
soll bitte nur vor diesem grundsätzlichen Lob verstanden
werden.
Ich habe diese Mail zuerst nicht abgeschickt, weil ich nicht wusste,
wie ich meine Enttäuschung über Ihre Publikation am
besten
ausdrücken soll. Ich wünsche mir, ich könnte
Ihnen mit
dieser Mail helfen, ein Problem, das Sie bestimmt auch selbst seit
langer Zeit als Problem erkennen, zu lösen.
Vor mehr als einem Jahr stand in den Salzburger Nachrichten vom
24.1.2014 („Entwicklungszusammenarbeit wird 2014 nicht
gekürzt“): „Auch Kurz machte kein Hehl
daraus, dass
Österreich damit keinen Schritt weg von den
europäischen
Schlusslichtern der Entwicklungszusammenarbeit macht: ‚Ich
muss
aber trotzdem sagen, dass wir natürlich von dem
0,7-Prozent-Ziel
meilenweit entfernt sind.‘“
Solche ehrlichen Aussagen konnte ich in den
„Weltnachrichten“ (Nr. 4, 2014) nicht finden. Auf
dem
Cover: „Unsere Welt, unsere Würde, unsere
Zukunft“
sieht man ein Bild von einer lächelnden schönen
schwarzen
Frau. Darin findet man tolle Berichte über verschiedene
Projekte,
die natürlich alle an und für sich sehr gut sind.
Doch
nirgends wird man über das wichtigste Problem informiert,
nämlich, dass Österreich, ein reiches Land, nicht
0,7% BIP
für EZA leistet, wie seit vielen Jahren international
vereinbart,
sondern nur noch 0,28%. Gleichzeitig leisten Schweden ca. 1,02%,
Luxemburg 0,97%, Dänemark 0,85% und Niederlande 0,75% BIP. Ich
betrachte dieses Problem als das wichtigste Problem der
österreichischen Politik überhaupt, weil die
menschlichen
Folgen so enorm sind. Es geht schließlich um Leben und Tod
für Millionen von Menschen.
Die „Weltnachrichten“ werden aus meiner Sicht immer
realitätsferner und peinlicher. Die Schande der fehlenden
EZA-Finanzen wird durch tolle Bilder, irreführende Statistiken
u.s.w. verdeckt, z.B. „ Die EC und die EU-Mitgliedstaaten
stellen
gemeinsam mehr als die Hälfte der globalen
öffentlichen
Entwicklungshilfeleistungen....“ (S. 3; in diesem Satz fehlt:
„...wobei Österreich zu den europäischen
Schlusslichtern gehört“). Ich komme mir vor, ich
lebe in der
DDR und lese in „Neues Deutschland“, wie toll es
ist, dass
wir dieses Jahr ausnahmsweise Bananen aus Kuba bekommen. Bundesminister
Sebastian Kurz schreibt sogar auf S. 3: „Wir werden uns
weiterhin
mit vollem Einsatz gegen Armut, für den Schutz der
natürlichen Ressourcen sowie für Frieden und
Sicherheit
engagieren.“ Mit vollem Einsatz? Was für ein Hohn.
Eine gute Quelle über diese fürchterliche Situation
wird
selbst durch „österreichische
Entwicklungszusammenarbeit“ gefördert. Das erkenne
ich schon
als positives Zeichen: http://www.globaleverantwortung.at/start.asp?ID=240486
„Österreich spart bei Ausgaben für
internationale Armutsbekämpfung wie kein anderer
Staat“
Die Größe dieses Problems soll aus meiner Sicht
nicht in
Euros, sondern in Menschenleben gemessen werden. Jedes Jahr sterben in
Entwicklungsländern insgesamt ca. zehn Millionen an Hunger,
vermeidbare Krankheiten und heilbare Krankheiten, während die
ÖsterreicherInnen sich über eine neue Sektsteuer
beschweren.
Das Geld, das wir nicht für EZA ausgeben, verursacht indirekt
unzählige Todesfälle. Das ist umso schockierender,
wenn man
an die Zeitgeschichte unseres Landes denkt.
Im Recht heißt es: „Jeder Mensch kann rechtlich
verpflichtet sein, einer Person Hilfe zu leisten, wenn die Situation es
erfordert und die Hilfeleistung den Umständen nach zuzumuten
ist“ (Wikipedia „Rechtliche
Aspekte bei Hilfeleistung“).
Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, das es sich
nicht
um Großzügigkeit handelt, sondern: Wir
ÖsterreicherInnen sind aufgrund der Globalisierung der
Wirtschaft
und unseres hohen Lebensstandards moralisch und vielleicht sogar
rechtlich verpflichtet, angemessen und verlässlich die EZA zu
fördern.
Sie kennen die Hintergründe dieser Probleme viel besser als
ich.
Ich habe vermutlich in diesem Brief auch Fehler gemacht oder die
Tatsachen auch verzerrt. Ich hoffe trotzdem, dass meine Mail Ihnen
nützlich und interessant ist. Ich würde mich freuen,
wenn Sie
diese Mail an die Redaktion weiterleiten würde.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die
„Weltnachrichten“ in jeder Ausgabe eine ehrliche
Debatte zu
diesem Thema bringt. Solange das nicht der Fall ist, lese ich lieber
z.B. „WelthausInfo“, eine Zeitschrift, deren
Redaktion
entweder den Mut oder die Freiheit hat, die echten Probleme zu erkennen
und sie beim Namen zu nennen.
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