Was sagt die katholische Kirche dazu?
Die
Frage mag überraschen. Sie ist berechtigt und relevant, nachdem Österreich sich
als katholisches Land bezeichnet. Außerdem wird die Grazer
Stadtregierung derzeit von der Österreichischen Volkspartei
(ÖVP) geführt, die sich ebenfalls für katholisch
hält. Die Grazer ÖVP ist hauptverantwortlich für die
Entscheidung, trotz negativer Umweltverträglichkeitsprüfungen
und fehlenden finanziellen Mitteln das Murkraftwerk und den
Zentralspeicherkanal bauen zu lassen.
Bisher äußert sich der Papst nicht direkt zu diesem Fall, auch seine
österreichischen Vertreter nicht. Seine allgemeine Meinung zu
solchen Fällen findet man in der Enzyklika Laudato Si’.
Obwohl ich Atheist bin, halte ich dieses Dokument für eins
der wichtigsten Dokumente des 21. Jahrhunderts. Folgende Auszüge
sind besonders relevant.
Aus verschiedenen Kosten-Nutzen-Analysen geht hervor, dass das Projekt
sich weder ökonomisch noch ökologisch rentiert. Der Papst
dazu:
184.
Wenn eventuelle Risiken für die Umwelt erscheinen, die das
gegenwärtige oder zukünftige Gemeinwohl betreffen, verlangt
die Situation, „dass alle Entscheidungen auf der Grundlage einer
Gegenüberstellung der Risiken und der Vorteile jeder in Frage
kommenden Alternative getroffen werden“.[131] Das gilt vor allem,
wenn ein Projekt einen erhöhten Verbrauch natürlicher
Ressourcen, eine Zunahme von Emissionen oder Abfallprodukten, die
Erzeugung von Rückständen oder eine bedeutende
Veränderung der Landschaft, des Lebensraums geschützter Arten
oder eines öffentlichen Raums verursachen kann. Einige nicht
ausreichend analysierte Projekte können zutiefst die
Lebensqualität eines Ortes schädigen.
An
der Karl-Franzens-Universität Graz sind viele international anerkannte
ExpertInnen in relevanten Fachbereichen tätig, unter anderem
in Klimawissenschaft (natur- und wirtschaftswissenschaftliche Aspekte),
Biologie (Pflanzenwissenschaften, Zoologie, Medizin),
Sozialwissenschaften (Psychologie, Soziologie), Geographie
(Raumforschung, Stadtplanung, Umweltsystemwissenschaften) und Recht
(Umweltrecht, Menschenrechte, Demokratie). Viele davon wurden nie
kontaktiert und einige wurden sogar aus Entscheidungsvorgängen
ausgeschlossen. Der Papst dazu:
140.
Aufgrund der großen Zahl und der Vielfalt der Elemente, die zu
berücksichtigen sind, wird es bei der Ermittlung der
Umweltverträglichkeit einer konkreten Unternehmenstätigkeit
unverzichtbar, den Forschern eine maßgebliche Rolle zu
übertragen und ihre Zusammenarbeit mit beträchtlicher
akademischer Freiheit zu fördern. Diese stetige Forschung
müsste auch zu der Erkenntnis führen, wie sich die einzelnen
Lebewesen zueinander verhalten und die größeren Einheiten
bilden, die wir heute „Ökosysteme“ nennen. Wir ziehen
sie nicht nur zur Ermittlung ihrer vernünftigen Nutzung in
Betracht, sondern auch weil sie einen eigenständigen Wert
besitzen, der von dieser Nutzung unabhängig ist. Wie jeder
Organismus in sich selber gut und bewundernswert ist, weil er eine
Schöpfung Gottes ist, so gilt das Gleiche für das harmonische
Miteinander verschiedener Organismen in einem bestimmten Raum, das als
System funktioniert. Auch wenn es uns nicht bewusst ist, hängen
wir für unsere eigene Existenz von einem solchen Miteinander ab.
Man muss sich vor Augen halten, dass die Ökosysteme auf die
Umwandlung von Kohlendioxid, auf die Reinigung des Wassers, auf die
Kontrolle von Krankheiten und Plagen, auf die Zusammensetzung des
Bodens, auf die Zersetzung der Rückstände und auf viele
andere Bereiche einwirken, die wir nicht bedenken oder nicht
kennen.
Ein moderner Ansatz zum städtischen Wassermanagement
berücksichtigt den gesamten physischen und sozialen Kontext. Wasser
wird nicht als Problem, das beseitigt werden muss, sondern als
Ressource, die benutzt werden kann. Der Papst dazu:
151. Es
ist erforderlich, dass die öffentlichen Plätze, das Panorama
und die urbanen Bezugspunkte gepflegt werden. Denn sie lassen in uns
den Sinn der Zugehörigkeit, das Gefühl der Verwurzelung und
den Eindruck wachsen, „zu Hause zu sein“ innerhalb der
Stadt, die uns umschließt und zusammenführt. Wichtig ist,
dass die verschiedenen Teile einer Stadt gut integriert sind und die
Bewohner ein Gesamtbild haben können, statt sich in Wohnquartieren
abzukapseln und darauf zu verzichten, die ganze Stadt als einen
eigenen, gemeinsam mit den anderen genutzten Raum zu erfahren.
Jeglicher Eingriff in die städtische oder ländliche
Landschaft müsste die Tatsache berücksichtigen, dass die
verschiedenen Elemente des Ortes ein Ganzes bilden, das die Bewohner
als ein kohärentes Bild mit seinem Reichtum an Bedeutungen
wahrnehmen. Auf diese Weise sind die anderen nicht mehr Fremde und
können als Teil eines „Wir“ empfunden werden, das wir
gemeinsam aufbauen. Aus demselben Grund ist es sowohl für das
städtische als auch für das ländliche Umfeld angebracht,
einige Orte zu bewahren, in denen menschliche Eingriffe, die sie
ständig verändern, vermieden werden.
Die Zerstörung von über 10.000 Bäumen im Stadtgebiet
widerspricht der Grazer Baumschutzverordnung, die jeden einzigen Baum
schützt. Der Papst dazu:
142.
(...) Wir wissen zum Beispiel, dass Länder, die über eine
klare Gesetzgebung zum Schutz der Wälder verfügen, weiterhin
stumme Zeugen einer häufigen Verletzung dieser Gesetze sind.
Diese Bäume sind eine
natürliche Klimaanlage, die in Zukunft fehlen wird. Die Energie
Steiermark erkennt diese Funktion der Bäume offenbar nicht.
Stattdessen freut sie sich, wenn mehr elektrische Klimaanlagen verkauft werden
und der Stromverbrauch dementsprechend steigt. Der Papst dazu:
55.
(...) was mit dem ständig zunehmenden Gebrauch und der steigenden
Intensität der Klimaanlagen geschieht. Die Märkte, die davon
unmittelbar profitieren, regen die Nachfrage immer noch mehr an. Wenn
jemand die Erdenbewohner von außen beobachten würde,
würde er sich über ein solches Verhalten wundern, das
bisweilen selbstmörderisch erscheint.
Aus
der Geschichte dieses Falls geht hervor, dass Schlüsselvertreter
der Stadt Graz, der Holding Graz und der Energie Steiermark sich schon
vor vielen Jahren für den Bau des Murkraftwerkes und des zentral
Speicherkanals entschieden haben, obwohl damals noch keine
Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden
waren. Der Papst dazu:
183.
Eine Untersuchung der Umweltverträglichkeit dürfte nicht im
Anschluss an die Erarbeitung eines Produktionsplanes oder irgendeiner
Politik, einer Planung oder eines Programms stattfinden, die es zu
entwickeln gilt. Sie muss von Anfang an einbezogen und
bereichsübergreifend, transparent und unabhängig von jedem
wirtschaftlichen oder politischen Druck ausgearbeitet werden. Sie muss
mit einer Analyse der Arbeitsbedingungen und der möglichen
Auswirkungen – zum Beispiel auf die physische und geistige
Gesundheit der Menschen, auf die lokale Wirtschaft, auf die Sicherheit
– verbunden sein. So kann man auf realistischere Weise
Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen Ergebnisse ziehen,
indem man mögliche Szenerien berücksichtigt und eventuell der
Notwendigkeit einer größeren Investition zur Lösung
unerwünschter und korrigierbarer Wirkungen zuvorkommt. Immer ist
es notwendig, den Konsens unter den verschiedenen gesellschaftlichen
Akteuren einzuholen, die unterschiedliche Perspektiven, Lösungen
und Alternativen beisteuern können. Einen privilegierten Platz in
der Diskussion müssen jedoch die Einwohner vor Ort haben, die sich
fragen, was sie für sich und für ihre Kinder wollen, und die
auch Ziele in Betracht ziehen können, die das unmittelbare
wirtschaftliche Interesse übersteigen. Man muss den Gedanken an
„Eingriffe“ in die Umwelt aufgeben, um zu einer von allen
betroffenen Parteien durchdachten und diskutierten Politik zu kommen.
Die Beteiligung verlangt, dass alle über die verschiedenen Aspekte
sowie über die unterschiedlichen Risiken und Möglichkeiten
angemessen informiert sind und dass sie nicht auf die
Anfangsentscheidung über ein Projekt reduziert wird, sondern auch
Maßnahmen zur Kontrolle oder der ständigen Überwachung
einschließt. Es braucht Aufrichtigkeit und Wahrheit in den
wissenschaftlichen und politischen Diskussionen, ohne sich darauf zu
beschränken abzuwägen, was gesetzlich erlaubt ist oder nicht.
Die freifließende Mur und die tausenden Bäume am Murufer
haben auch einen ästhetischen Wert. Das mag offensichtlich sein,
doch ein solches
Argument wird oft nicht ernst genommen. Der Papst dazu:
215.
In diesem Zusammenhang „darf die Beziehung, die zwischen einer
angemessenen ästhetischen Erziehung und der Erhaltung einer
gesunden Umwelt besteht, nicht vernachlässigt werden“.[150]
Auf die Schönheit zu achten und sie zu lieben hilft uns, aus dem
utilitaristischen Pragmatismus herauszukommen. Wenn jemand nicht lernt
innezuhalten, um das Schöne wahrzunehmen und zu würdigen, ist
es nicht verwunderlich, dass sich für ihn alles in einen
Gegenstand verwandelt, den er gebrauchen oder skrupellos missbrauchen
kann. Zugleich muss man, wenn man tiefgreifende Veränderungen
erzielen will, berücksichtigen, dass die Denkmuster wirklich die
Verhaltensweisen beeinflussen. Die Erziehung wird unwirksam, und ihre
Anstrengungen werden unfruchtbar sein, wenn sie nicht auch dafür
sorgt, ein neues Bild vom Menschen, vom Leben, von der Gesellschaft und
von der Beziehung zur Natur zu verbreiten. Andernfalls wird das auf
Konsum ausgerichtete Modell, das durch die Kommunikationsmittel und
über die wirkungsvollen Räderwerke des Marktes
übermittelt wird, weiter fortschreiten.
Das
derzeitige Vorgehen der Stadt Graz widerspricht der aktuellen
internationalen Lehrmeinung der katholischen Kirche grundsätzlich.
Wir, die sogenannten "Murkraftwerksgegner", wollen wissen, warum. Wir
werden uns nicht mit irreführenden Halbantworten abspeisen lassen.
Weitere Informationen
- Rettet die Mur
- Murxkraftwerk
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Wie es dazu kam
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Die wichtigsten Entscheidungen