Kollegiale Leistungskultur an Universitäten Richard
Parncutt siehe auch Mobbing in der Wissenschaft |
Leistungskultur und Kollegialität
In den verschiedenen hierarchischen Organisationseinheiten einer Universität kommen ernsthafte Konflikte, die die Produktivität der Einheit direkt oder indirekt beeinträchtigen, erstaunlich oft vor. Obwohl Konflikte durchaus einen positiven Aspekt haben können, indem sie z.B. die TeilnehmerInnen zwingen, ihre Argumente klar und überzeugend zu formulieren, bringen Konflikte in erster Linie einen Verlust von Zeit, Energie und Kreativität, dessen Wert in Geld schwer abzuschätzen - in jedem Fall aber erheblich - ist.
Daraus folgt, dass die Effizienz einer Universität im Sinne eines Preisleistungsverhältnisses (Preis = Zeit und Geld, Leistung = das Erreichen wissenschaftlicher Ziele) davon abhängt, wie effektiv sie mit ihren internen Konflikten umgeht. Kollegiale Einheiten sind generell produktiver als unkollegiale - auch wenn die Vorbedingungen für die Produktivität einer universitären Einheit stark fachabhängig sind.
Die nachhaltige Produktivität eines großen Betriebs wie z.B. einer Universität wird durch eine Kultur gefördert, die Leistungsorientierung und Kollegialität (partnerschaftliches Verhalten) kombiniert - also durch eine kollegiale Leistungskultur:
Wenn sich eine Universität gleichzeitig und konsequent nach den beiden Eckpfeilern Leistungsorientierung und Kollegialität orientiert, ist es zu erwarten, dass die Gewährleistung dieser Grundhaltungen zu einer langfristigen Leistungsteigerung führt:
Sollte es tatsächlich möglich sein, eine solche positive Spirale zumindest zum Teil zu realisieren, müssten die Themen Leistungsorientierung und Kollegialität hoch auf der Tagesordnung der relevanten universitären Gremien stehen. Der vorliegende Text bietet eine mögliche Grundlage für eine solche Diskussion.
Man
nimmt gern an, dass solche Probleme grundsätzlich kompliziert
sind
- sonst wäre es nicht so schwer, sie zu lösen. Doch
die
Lösung könnte einfacher sein, als wir denken. Im
März
2012 schrieb mir ein Kollege aus Finland Folgendes: "I believe that the
Nordic model of leadership, which is based on trust more than on
control, on delegation of responsibilities, and on flat hierarchies,
boosts creative work in an academic environment. And most importantly,
one should drink together whenever there is a reason for that." Sein
Erfolgsrezept heißt also: Vertrauen, Delegieren von Aufgaben
und
Verantwortung, flache Hierarchien, das gemeinsame Feiern von Erfolgen
und (zwischen den Zeilen) gut gemeinter Humor (d.h. u.a.: sich selbst
nicht zu ernst nehmen). Man könnte noch hinzufügen:
die
Fähigkeit, zuzuhören. Könnte es wirklich so
einfach
sein? Wenn ja, brauchen wir den Rest dieser Seite nicht.
Kann man Kollegialität überhaupt fördern?
Ältere Universitätsmitglieder, die viele ernsthafte Konflikte erlebt haben, sind oft der Meinung, dass man Kollegialität kaum fördern kann. Wer es versucht, verschwende nur wertvolle Zeit. Diese KollegInnen haben insofern Recht, als der Fortschritt, den man realistisch von einem solchen Projekt erwarten kann, begrenzt ist. Dabei vergessen Sie aber, wie viel Zeit, Energie und wissenschaftliche Kreativität Konflikte kosten. Rechnet man diese Verluste in Geld um, kommt man auf beträchtliche Summen - etwa z.B. 100.000 Euro für einen langwierigen Konflikt zwischen zwei angestellten WissenschaftlerInnen. Das sind öffentliche Gelder, die effektiv verschwendet werden. Auch wenn man vielleicht nur die Hälfte dieser Verluste kurz- und langfristig verhindern kann, wird die Universität viel gewonnen haben. Außerdem ist ein großer Anteil der Universitätsmitglieder - nicht wissenschaftlich und wissenschaftlich, Studierende, Lehrende, Forschende - offenbar der Meinung, dass eine allgemeine Verbesserung der Kollegialität bzw. des entsprechenden Bewusstseins für das Gemeinwohl und die wissenschaftliche Leistung der Universität generell förderlich wäre. Die Universität würde als Standort und Arbeitsplatz interessanter und attraktiver. Diesen wohlwollenden Menschen fehlen nur geeignete Vorbilder und Infrastrukturen. Es müsste doch zu den zentralen Aufgaben der Universitätsleitung gehören, solche Vorbilder und Infrastrukturen zu schaffen.
Kollegiales versus freundliches Verhalten
Zahlreiche amerikanische Universitäten haben Stellungnahmen zum Thema collegiality veröffentlicht, darunter die Universitäten von California State, Colorado, Nevada, PACE New York, Wyoming. Die Frage, ob collegiality als Vorbedingung für Pragmatisierung (tenure) betrachtet werden soll, ist heiß diskutiert worden. Im Vergleich dazu haben sich deutschsprachige Universitäten relativ wenig mit solchen Fragen auseinandergesetzt.
Im Rahmen eines Betriebs oder wissenschaftlichen Instituts ist es selbstverständlich wichtig, höflich, nett und freundlich mit KollegInnen umzugehen. Wichtig ist auch die Bereitschaft, freiwillig passende Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Ein solches freundliches Verhalten wird oft mit kollegialem Verhalten verwechselt.
Unter dem Begriff Kollegialität wird im Folgenden etwas anderes gemeint. Kollegialität ist nicht oberflächlich und oft nicht sofort ersichtlich, denn es hat mit grundsätzlichen Einstellungen und Intentionen gegenüber andere Menschen zu tun. Kollegialität besteht aus einer Mischung traditioneller und moderner Tugenden wie Anständigkeit, Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit, konstruktive Bescheidenheit, Direktheit, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen, emotionale Intelligenz, Entgegenkommen, Erreichbarkeit, Freimütigkeit, Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Handschlagqualität, Humor, Integrität, Klarheit, Leichtigkeit, Mitgefühl, Objektivität, Offenheit, Pragmatismus, Präzision, Respekt, Rückgrat, Rücksichtsnahme, Sachlichkeit, Toleranz, Transparenz, Verantwortlichkeit (accountability), Wohlwollen, Zivilcourage und Zuverlässlichkeit. Darüber hinaus sind Gruppen kollegial, wenn sie folgende Eigenschaften aufweisen: Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Solidarität, soziale Inklusion, Teamgeist, und Vielfalt.
Der Unterschied zwischen freundlichem und kollegialem Verhalten wird anhand des folgenden Beispiels klar. Es ist möglich, ehrlich und aufrichtig entsetzt zu sein, wenn die Grundrechte von KollegInnen oder wichtige Prinzipien wie amtliche Transparenz verletzt werden. In solchen Fällen kann eine nette, freundliche Reaktion für die eigenen Interessen pragmatisch oder zielführend sein, nicht jedoch für das Gemeinwohl. Eine ehrliche, entsetzte Reaktion kann der Gruppe langfristig mehr bringen.
Aspekte der Kollegialität
Gewaltfreie Kommunikation. Weil
Konflikte so oft vorkommen und so viel Zeit, Energie und
Lebensqualität vergeuden, wurden zahlreichte praxisorientierte
Theorien entwickelt, um Konflikte unterschiedlicher Art zu
lösen.
Alle solche Theorien, soweit sie in der Praxis erfolgreich angewendet
werden können, beziehen sich auf Grundprinzipien der
Kollegialität . Ziel
der gewaltfreien
Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg ist das gegenseitige
Bewusstwerden der Anliegen aller Parteien, damit sie dann auch
berücksichtigt und Bedürfnisse erfüllt
werden
können. Vorbedingung ist eine positive Einstellung zum
Gegenüber.
Ehrlichkeit.
Der
Begriff emotional
Bullshit
wurde von Carl Paul Alasko im gleichnamigen Buch (englisch: 2008,
deutsch: 2009) geprägt. Unter "Bullshit" meint Alasko "eine
Täuschung, eine Verzerrung der Wahrheit und eine Manipulation
der
Realität aus selbstsüchtigen Motiven" (S.
8).
Er erklärt weiter: "Bullshit wird emotional, wenn
Täuschung
und Manipulation starke negative Gefühle hervorrufen"
(S.
9). "Die drei Elemente des Emotional BS sind: Verleugnung, Täuschung
und
Schuldzuweisung" (S. 10). Selbstverständlich
kommt Bullshit
auch in der Wissenschaft
vor, und diese
Variante ist nicht weniger häufig oder emotional als
andere.
Selbstwirksamkeit. Ein selbstwirksame Mensch ist selbstständig und realistisch. Er oder sie kann in schwierigen Situationen sowohl allein als auch mit anderen Menschen zusammen handeln. Er oder sie schätzt dabei seine oder ihre Fähigkeiten realistisch ein. Zur Selbswirksamkeit gehören Einsicht, Kritikfähigkeit, Lösungsorientierung, Rationalität und Risikobereitschaft. Aus der psychologischen Forschung geht hervor, dass Personen, die stark an die eigene Kompetenz Glauben, größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen und mehr Erfolge im der Ausbildung und im Berufsleben aufweisen. Eine Gruppe wie z.B. ein universitäres Institut wird in der Regel leistungsfähiger sein, wenn ihre Mitglieder sowohl kollegial als auch selbstwirksam sind. Beide Charaktereigenschaften haben mit Motivation zu tun - Selbstwirksamkeit mit der Motivation der einzelnen Mitglieder, Kollegialität mit der Motivation der ganzen Gruppe. Eine selbstwirksame Person motiviert sich selbst; eine kollegiale Gruppe ebenso, denn Fairness macht glücklich. Beide Charaktereigenschaften sind nötig, denn Kollegialität ohne Selbstwirksamkeit kann zur Mittelmäßigkeit, Selbswirksamkeit ohne Kollegialität zur Arroganz führen.
Strategien zur Förderung von Kollegialität an
Universitäten
Wie können solche Ideale an einer Universität realistisch umgesetzt werden? Es folgt eine Auswahl aus den zahlreichen Möglichkeiten. Viele der aufgeführten Anregungen können sowohl innerhalb als auch zwischen hierarchischen Ebenen (wissenschaftliches und nicht wissenschaftliches Personal; Studierende, Mittelbau, Professoren...) realisiert werden.
Gemeinsame Aspekte: Kollegialität aus der Sicht der ganzen Gruppe
Individuelle Aspekte: Kollegialität aus der Sicht der einzelnen Gruppenmitglieder
Diese Prinzipien gelten gleichermaßen für alle Mitglieder der Universität - egal ob in Wissenschaft oder in Verwaltung, ob Sekretär/in oder Vizerektor/in, ob Student/in, Lektor/in oder Professor/in. Alle Mitglieder haben kollegial miteinander umzugehen, damit die Universität ihr Hauptziel, wissenschaftliche Qualität zu fördern, erreichen kann.
Ein interessantes Beispiel (weil oft konfliktträchtig) ist die Beziehung zwischen Betreuer/in und Student/in im Rahmen von Masterarbeiten und Dissertationen. Diese Beziehung ist grundsätzlich asymmetrisch (mehr). Erstens wird nur der/die Betreuende für die wissenschaftliche Arbeit finanziell entschädigt. Das heißt u.a., dass nur der/die Betreuende zu einer Dienstleistung verpflichtet ist und für regelmäßige Diskussionen verfügbar sein muss. Zweitens kann der/die Betreuende die zukünftige Karriere des/der Studierenden erheblich positiv oder negativ beeinflussen, wenn er/sie auch die Abschlussarbeit prüft (was im deutschen Sprachraum leider noch immer der Regelfall ist). Diese Macht des/der Betreuenden darf nicht ausgenutzt werden, indem der/die Betreuende etwa Gehorsam oder wissenschaftliche Unterstützung von dem/der Studierenden erwartet. Im Rahmen der Beziehung zwischen Betreuenden und Studierenden ist es vor allem wichtig, dass die Eigenständigkeit und Freiheit der/des Studierenden gefördert werden. Zur Freiheit des/der Studierenden gehört, dass der/die Studierende uneingeschränkt mit anderen WissenschaftlerInnen zusammenarbeiten oder publizieren, die Forschung des/der Betreuenden infrage stellen oder gar abgelehnen, oder die Anregungen des/der Betreuenden ignorieren darf - ohne Angst vor negativen Folgen. Ein/e gute/r Betreuer/in wird sich freuen, wenn der/die Student/in sich eigenständig von anderen beraten lässt oder Forschungsinhalte des/der Betreuenden infrage stellt, weil dadurch die wissenschaftliche Qualität des/der Betreuenden und darüber hinaus der dazugehörigen Institution gefördert werden kann. Selbstverständlich soll auch der/die Studierende sich kollegial verhalten, indem er/sie den/die Betreuende/n laufend über Kooperationen mit verschiedenen WissenschaftlerInnen, auch aber über andere relevante Absichten informiert. Betreuende investieren oft viel Zeit und Energie in gemeinsame Forschungsprojekte, die nicht abgeschlossen werden, weil der/die Student/in die Betreuung wechselt oder die Abschlussarbeit oder eine geplante gemeinsame Publikation nicht schreibt, was oft durch gegenseitige Unterstützung und Ehrlichkeit vermieden werden könnte.
Zur Kollegialität gehören auch Geduld und Realismus. Wir nehmen im Kauf, dass die oben aufgeführten Ideale nie vollständig erreicht werden können, denn die Mitglieder einer Gruppe haben in der Regel verschiedene Vorstellungen von Kollegialität (z.B. unterschiedliche Formulierungen oder Prioritäten) und begrenzte Zeit und Energie - wobei jede/r für sich entscheiden muss, wie diese Zeit und Energie unter zahlreichen unterschiedlichen Aufgaben verteilt werden soll. Wichtig ist in erster Linie die aufrichtige Intention, sich durch solche Strategien kollegial zu verhalten, auch wenn die Strategien nicht immer klappen oder als kollegial wahrgenommen werden. Es versteht sich, dass das Thema Kollegialität immer ernst genommen werden soll.
Die Leitung einer Universität kann Kollegialität durch konkrete Strategien fördern, z.B.:
Bei solchen Maßnahmen handelt es sich nicht etwa um naiven Idealismus, auch nicht in erster Linie um Fairness oder um den Schutz von Frauen, Minderheiten oder kündbaren MitarbeiterInnen (obwohl moralische Aspekte selbstverständlich auch wichtig sind). In erster Linie geht es um das Erreichen der wissenschaftlichen Ziele einer Universität. Kollegialität soll nur so weit von der Universität gezielt gefördert werden, wie es offenbar zu langfristigen Verbesserungen in der Qualität und Quantität wissenschaftlicher Leistungen führt. Bei vielen Universitäten wäre das ein erheblicher Fortschritt.